Selbsterfahrung am IVS – Rückmeldungen der Teilnehmer

zur Achtsamkeitsbasierten Gruppenselbsterfahrung

Leitung: PD Dr. Thomas Mösler und Dr. Sandra Poppek

 


Mail (20.02.2018) von Bettina Rehbichler über eine selbstexplorative Introspektionsübung zur eigenen Herkunftsfamilie (Übungsanleitung in „Der Blick auf sich selbst – Selbsterfahrung in der Psychotherapie“, von Mösler/Poppek/Kemper/Rose/ Dorrmann, Psychotherapie-Verlag, Tübingen 2016, ISBN 978-3-86333-101-6, Seite 139-142):

(Die Übung) „…. hat meinen Fokus verändert und erweitert. Es ist ja der konditionierte Verstand, der sich seine Geschichte selbst „strickt“, seine Identität sich selbst erzählt, aus all den Erinnerungen die aussucht, die gerade ins Konzept passen.

Das war so im Sinne: ja, es war schon alles gut, aber: und dann kommt’s: einmal erinnere ich, da habe ich zu wenig bekommen als… usw.

Wie wenn ich – wie der Nikolaus, – ein Buch mit schwarzen Sternchen geführt hätte und erinnert habe, und aus tausenden von Geschehnissen, Gedanken und Gefühlen einige wenige gesammelt und kultiviert habe.

Eine unermesslich tiefe Dankbarkeit für all das was ich bekommen habe. Es ist soviel mehr, als vorher in meinem Bild vorhanden war. Ich habe das nie so sehr gespürt, was ich alles bekommen habe, was meine Eltern ständig alles getan haben.“

 


Mail (09.02.2018) von E.B. über die gleiche Übung:

Es hat mich überrascht zu erkennen und zu fühlen, was sie mir alles gegeben hat, insbesondere in der früheren Kindheit. Gerade in dieser Lebenszeitspanne habe ich ihr oft Vorwürfe gemacht, zu kurz gekommen zu sein/ keine Wärme bekommen zu haben. Diesen Kontrast zu sehen, zwischen was hat sie mir  und ich ihr gegeben, hat mir eine neue Sichtweise gegeben, mich in ihren Alltag einfühlen lassen, ihre alltäglichen Leistungen anzuerkennen. Ich habe dafür große Dankbarkeit gespürt, die ich ihr auch nochmal beim nächsten Treffen oder in einem Telefonat zeigen möchte.

Ein Aha-Erlebnis hatte ich auch bzgl. Dem Gefühl „nicht als Ich gesehen worden zu sein“ bzw. unser Konfliktzeit nach der Schule: mir ist diese Teufelskreis-Interaktion klar geworden: Ich habe oft angeklagt, nicht gesehen worden zu sein, durch das Anpassen, Schweigen, Konfliktvermeidung habe ich meiner Mutter auch keine Chance gegeben mich kennenzulernen.

Dieses Interaktionsmuster habe ich dann in meinen ersten beiden Beziehungen ziemlich reaktiviert: Durch meine Strenge haben sich meine Partner sehr an mich angepasst, z.B. aus Angst vor Ablehnung, Beziehungsabbruch – gleichzeitig war diese Anpassung dann der Trennungsgrund, da mir das „Du“, der Austausch, die Reibung etc fehlte.

Diese Erfahrungen und Zeiten mit meiner Mutter haben mich sehr friedlich gestimmt, gewärmt, entspannt – und ich habe nach der Übung das Bedürfnis diese Erlebnisse mit ihr teilen zu wollen.

 


Mail (10.02.2018) von Rainer Textor zum Thema Narzissmus:

„… jeder hungert nach Anerkennung – jedoch in unterschiedlich starkem Maß. „Lob bindet“: wenn ich gelobt werde, heißt das, der/ die andere hat wahr genommen, was ich tue / getan habe. Zugleich sehe ich mich dadurch tendenziell verpflichtet, zukünftig mindestens dasgleiche oder mehr zu leisten, denn ich weiß, dass der/ die andere es bemerkt. Eine wichtige Erkenntnis auch zur Manipulation anderer.“

 


Mail (11.02.2018) von P.H. über eine selbstexplorative Introspektionsübung zur Herkunftsfamilie (Übungsanleitung in „Der Blick auf sich selbst – Selbsterfahrung in der Psychotherapie“, von Mösler/Poppek/Kemper/Rose/ Dorrmann, Psychotherapie-Verlag, Tübingen 2016, ISBN 978-3-86333-101-6, Seite 139-142):

„Der Vorwurf an meine Mutter, dass sie mich durch ihre Fürsorge vereinnahmt hat und mich in meiner Entwicklung behinderte, relativiert sich. Sie war immer eine Unterstützerin. Das was eine Mutter mindestens leiten muss, hat sie mit Bravour gemeistert. Es stellt sich ein Gefühl der Dankbarkeit ein, vor dem der Vorwurf an meine Mutter verblasst. Die geht bei mir einher mit einem stärkeren Gefühl und Anspruch dafür, mehr nach mir zu schauen und mich um mich und meine Bedürfnisse zu kümmern, damit ich diese klarer z.B. gegenüber meiner Mutter benennen kann.

Die Sicht, dass mein Vater nicht präsent genug war, lässt sich für mich nach diesen Übungen nicht mehr halten. Er hat schon immer viel für mich (viel für seine drei Söhne) getan und tut es noch immer.“

 


Mail (11.02.2018) von anonymem/r Teilnehmer/in:

„Früher konnte ich kaum ins Körpergefühl gehen, habe ich manchmal nicht wahrgenommen, was in mir vorgeht, bzw. welche Bedürfnisse da eigentlich dahinterstehen. Durch diesen neugewonnenen Blick nach Innen und Mitgefühl mit sich selbst kann ich viele Dysfunktionale Emotionen entweder sofort oder zumindest im Verlauf rascher auflösen.“

 


Mail (13.02.2018) von F.L. zur Kultivierung von Empathie:

„*…Sehr hilfreich ist für mich die Vorstellung, dass jeder Mensch, durch seine Erfahrungen geprägt. Einen Grund hat für sein Verhalten und daher in bestimmten Situationen nicht anders handeln kann, wie er es in dem Moment tut

*   Mir gefielen die Überlegungen zur Auflösung von Unversöhnlichkeiten, vor allem die Akzeptanz von Gefühlen aber auch deren Veränderung, die letztlich zur Auflösung von Unversöhnlichkeiten führen kann

*   Das wunderschöne Gedicht Charly Chaplin „Als ich mich selbst zu lieben begann“ hat mich sehr berührt

*   Elemente der Gewaltfreien Kommunikation: Erkennen, dass hinter jeder Anschuldigung, Kritik und jeder Anfeindung ein ungestilltes Bedürfnis steht

*   Bewusstwerden über beziehungsfeindliche Kommunikationsmuster: z.B. vermeide ich bewusst, die Realitätserfahrung anderer zu deuten und damit meine eigene Wahrnehmung über die des anderen stellen“

 


Mail (13.02.2018) von F.M. zur Arbeit mit dem Skript der Herkunftsfamilie:

„Fast alle, vielleicht sogar alle Menschen, mit denen ich negative Erfahrungen gemacht habe, die haben mich beispielsweise verletzt, geärgert, genervt, provoziert, wütend gemacht, zum Nachdenken gebracht, NICHT, weil sie „böse“ sind, sondern – so überheblich dies auch klingen mag – sehr wahrscheinlich, weil sie schlicht nicht anders konnten, nicht anders mit mir, meinem Verhalten usw. umgehen konnten. Diese Erkenntnis ist deswegen so wertvoll für mich, weil u. a. sie es ist, die es mir ermöglicht, dass ich mittlerweile Mitgefühl entwickeln kann, gegenüber Menschen, denen ich zwischenzeitlich Schlechtes gewünscht habe. Das hätte ich früher kaum für möglich gehalten. Und das wirkt sich nicht nur positiv auf meinen Geist, sondern auch auf mein körperliches Wohlbefinden aus.“

 


Mail (15.02.2018) von anonymem/r Teilnehmer/in mit Kommentar zur Achtsamkeitsbasierten Selbsterfahrung insgesamt :

„Die Selbsterfahrung hat für mich ein paar wichtige Elemente enthalten, v.a. habe ich für eine in einer depressiven Episode gemachte Erfahrung, nämlich die der Existenz des konzeptfreien, stillen Bewusstseins, nun einen konzeptuellen Zugang. In den von mir mehrfach erlebten depressiven Episoden habe ich mich oft gefragt, wie ich etwas aus dem normalen Erleben quasi als Anker hinüberretten kann, um nicht den Halt zu verlieren. Ich denke, dass einige Elemente aus der Selbsterfahrung solche Anker für mich sein können: die Fokussierung auf das Jetzt, mit dem Körpergefühl als phänomenologischem Zugang dazu; der kognitiv-konstruktivistische Zugang zur Subjektivität des Erlebens („Es ist dein Geist, der diese Welt erschafft“), mit allen Konsequenzen; die Erkenntnis der Begrenztheit des eigenen Plans und damit zusammenhängend die Kultivierung von Dankbarkeit; die Einsicht in die Unbeständigkeit allen Erlebens und, wie bereits erwähnt, der Zugang zum konzeptfreien, stillen Bewusstsein (mit dem Fokus auf der Atmung, welchen ich in o.g. Episode eher intuitiv entdeckt habe). Darüber hinaus haben diese Elemente m.E. auch eine präventive Potenz, denn das Verbinden (ein weiterer schöner Begriff!) mit diesen Ressourcen hilft den Einfluss des potenziell leidenden Egos zu kontrollieren. Für diesen Input bin ich euch dankbar und ich denke, dass dieser mir persönlich, als auch in der Rolle des Psychotherapeuten, weiter hilfreich zur Seite stehen wird.“

 


Mail (11.02.2018) von anonymer Teilnehmerin zum Ergebnis einer thanatologischen Imaginationsübung (Übungsanleitung in „Der Blick auf sich selbst – Selbsterfahrung in der Psychotherapie“, von Mösler/Poppek/Kemper/Rose/ Dorrmann, Psychotherapie-Verlag, Tübingen 2016, ISBN 978-3-86333-101-6, Seite 162-163):

Meine Mutter ist verstorben:

Meine liebe Mama,

ich kann nicht glauben, dass Du nicht mehr da bist – ich glaube, Du bist auch gar nicht weg. Du bist immer noch um mich, auch wenn ich Dich nicht sehen kann. Aber ich spüre Deine Anwesenheit, Deinen Schutz und Deine Liebe für mich deutlicher als zu Zeiten, wo Du noch „real“ bei mir warst. Aber Du wirst mich leider nie mehr in den Arm nehmen und mich trösten können, wenn ich mit Schwierigkeiten kämpfe. Du wirst mir nicht mehr die Zweifel nehmen können, wenn ich Angst bekomme, dass Du vielleicht enttäuscht von mir bist. Und Du kannst mir keine Ratschläge mehr geben, wie ich mich in der einen oder anderen Situation am besten verhalten sollte. Auch meine Liebe zu Dir ist jetzt deutlicher in mir spürbar. Ich hätte Dir gern öfter gezeigt und gesagt, wie wertvoll Du in meinem Leben bist.

Warum muss etwas einen erst gewaltsam trennen oder sehr deutlich machen, dass es jederzeit soweit sein könnte, bevor man diese Gefühle ganz zulassen und deutlich spüren kann? Wir beide hätten uns viele Tränen der Verzweiflung, Traurigkeit und Wut sparen können, wenn wir schon früher unsere tiefsten Gefühle füreinander deutlicher wahrgenommen und auf sie gehört hätten. Mir tut es leid, dass wir so unsere wertvolle gemeinsame Zeit vergeudet haben. Was würde ich nicht darum geben, Dich wieder bei mir zu haben und alles anders machen zu können.

Für meine Selbsterfahrung habe ich eine Übung machen sollen, die sich selbstexplorative Introspektionsübung nennt. Dabei soll man sich in kontemplativer Atmosphäre über mehrere Stunden (im eigentlichen Programm sind es sogar Tage) bewusst machen, was die Mutter im bisherigen Leben des Durchführenden alles für ihn oder sie getan hat, was man selbst für die Mutter getan hat und welche Schwierigkeiten man ihr bereitet hat. Mir ist da erst bewusst geworden, was Du in meinem Leben alles schon für mich getan und auf was Du auch verzichtet hast um meiner Willen. Das, was ich für Dich getan habe, war dagegen eher dürftig. Vielleicht hätte ich es Dich einmal lesen lassen sollen.

Ich will auch nicht alles schön reden, wir haben sicher beide Fehler gemacht, waren nicht perfekt, aber das war auch nicht die Aufgabe: alles perfekt zu machen. Die Aufgabe war, so glaube ich, mit und aneinander zu lernen und gemeinsam zu wachsen. Und ich wünschte, wir hätten noch ein bisschen weiter wachsen können.

Ich hoffe sehr, wir kommen irgendwann und irgendwo wieder zusammen – vielleicht erkennen wir uns nicht mehr, vielleicht ist die Konstellation, in der wir aufeinander treffen, eine völlig andere – aber hoffentlich können wir uns dann auf unsere Gefühle füreinander besinnen und konzentrieren. Ich werde Dich in diesem Leben nie vergessen und danke Dir für alles, was ich von Dir lernen durfte. Dein Abbild und Deine Handschrift bleiben in meinem Herzen.

Ich liebe Dich!

Deine S.

Mein Vater ist verstorben:

Lieber Papa,

mit Dir geht eine tragende Säule für mein Leben. Sicher hast Du mich mein Leben lang geprägt und ich kann mir wahrscheinlich häufig gut vorstellen, was du in gewissen Situationen sagen oder wie Du reagieren würdest – trotzdem fühle ich mich irgendwie verlassen und schutzlos. Solange Du da warst, wusste ich, dass ich Dich in Schwierigkeiten an meiner Seite haben würde. Ich liebte den Austausch mit Dir und ich habe jeden Tag ein bisschen von Dir lernen dürfen.

Es bleibt zwar Dein Schutz und Dein Wohlwollen, Deine Liebe wie ein Mantel um mich bestehen, aber dennoch fehlt mir Deine reale Anwesenheit. Du musst noch nicht einmal ständig in meiner Nähe sein, allein das Wissen, dass Du da und in irgendeiner Form, ob telefonisch, per Mail, per Brief oder im persönlichen Kontakt für mich erreichbar bist, gibt mir Mut und Kraft.

Wie leicht ging mir in meinem Leben über die Lippen: „Ich werde mal Papa fragen, was er dazu meint“. Mit Deinem Urteil oder Ratschlag und dem Gefühl Deiner unterstützenden Hand in meinem Rücken konnte ich immer wieder fortschreiten, mein Leben meistern, Dinge anpacken und erreichen. Du warst mein Back-up, Du warst Teil meines Fundamentes, auf das ich sicher bauen könnte. Jetzt fehlt ein Teil dieses Fundamentes und mein Gebäude kommt ins Wackeln. Vielleicht gelingt es mir, genug Erinnerungen und Anteile von Dir in mir selbst zu aktivieren, um das Gebäude erneut zu stützen. Vielleicht muss ich auch Teile des Fundaments aus eigenen Ressourcen auffüllen. Vielleicht muss ich mir nur immer wieder deutlich machen, dass niemand wirklich weg ist, wenn er stirbt, dass er nur die Daseinsform wechselt. Trotzdem ist mein Leben durch Deinen („leiblichen“) Tod ins Wanken geraten.

Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann und irgendwo sicher.

Ich werde Dich in diesem Leben nie vergessen und danke Dir für alles, was ich von Dir lernen durfte. Den Abbild und Deine Handschrift bleiben in meinem Herzen.

Ich liebe Dich!

Deine S.

Ich selbst muss bald sterben:

Man sagt so schön „Kinder sollen nicht vor ihren Eltern gehen müssen“ und mir tut es leid, dass es ausgerechnet Euch trifft. Mir fällt es leichter, selbst zu gehen, als Euch gehen lassen zu müssen. Ich habe keine große Angst vor dem Tod, es ist eher wie vor einer großen, wichtigen Prüfung: Man macht sich Sorgen, ob man alles hinbekommt, ob man gut genug vorbereitet ist, ob man wirklich alles erledigt hat, was notwendig war, und gleichzeitig wünscht man sich, dass es doch schon vorbei wäre und man den Ausgang kennen würde.

Ich hatte ein schönes Leben und ich wollte Euch mit diesem Brief nochmals meinen Dank ausdrücken, für alles, was Ihr für mich getan habt. Bitte zweifelt nie daran, dass Ihr gute Eltern wart und dass  mir bewusst war und ist, dass Ihr zu jeder Zeit Euer Bestes gegeben habt. Ich weiß, es gab schwierige Zeiten und es gab Streit oder Uneinigkeiten. Aber angesichts der begrenzten Zeit, die mir und leider auch Euch (Ich hoffe jedoch, Euch bleibt noch etwas mehr …) noch zur Verfügung steht in diesem Leben, gibt es von meiner Seite nichts, das es noch Wert wäre, auch nur eine Minute unserer Zeit dafür zu verschwenden. Ich möchte aber, dass Ihr die Gelegenheit nutzt für ein klärendes Gespräch, wenn Euch noch Dinge aus unserer gemeinsamen Geschichte belasten. Schont mich in diesem Fall bitte nicht, am wichtigsten ist mir, möglichst nichts in diesem Leben ungeklärt zurück zu lassen. Ich möchte Euch versuchen zu erklären, welche Beweggründe ich für die eine oder andere Verhaltensweise oder Aussage hatte, und ich möchte, dass Vergebung und innerer Frieden sich bei Euch wie auch bei mir selbst einstellen.

Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann und irgendwo – in welcher Form und Konstellation auch immer – wieder! Ich werde immer um Euch sein und danke Euch für alles, was ich von Euch lernen durfte. Euer Abbild und Eure Handschrift bleiben in meinem Herzen.

Ich liebe Euch!

Eure S.